Der Pfeil zischte durch die Luft – ein Schreib-Klischee?

Gestern führte mich mein Spaziergang an einer Bogenschießanlage vorbei. Ein Mann trainierte und ich beobachtete ihn eine Weile. Vielmehr hörte ich mir an, welche Geräusche seine Übungen erzeugten.
Er legte einen seiner hochmodernen Pfeile auf die Sehne, konzentrierte sich und schoss ihn mit einem »Flapp« ab. Etwa zwei Herzschläge später traf der Pfeil mit einem lauten »Pock« auf die Zielscheibe, zitterte ein wenig und blieb dann ruhig stecken.
Erst nach drei dieser Durchgänge fiel mir auf, dass zwischen dem »Flapp« und dem »Pock« nichts zu hören war. Der Flug des Pfeils war völlig geräuschlos.

Wenn ein Autor eine mächtige Schlacht zwischen zwei dunklen Armeen beschreibt, die sich auf weiter Ebene grimmig gegenüberstehen, kann der Leser fast sicher davon ausgehen, dass irgendwann auf den zig Seiten, auf die das Schlachtgetümmel ausgewalzt wurde, ein ähnlicher Satz, wie der folgende, vorkommt: »Die Pfeile zischten auf sie herab.«

Doch ist das nur Klischee? Nach meiner Erfahrung auf der Schießanlage »zischen« Pfeile nicht, wenn sie fliegen. Sie finden vielmehr lautlos ihr Ziel. Was ich, ehrlich gesagt, noch viel unheimlicher finde.
Natürlich war ich weit davon entfernt, in der Flugbahn des Pfeiles zu stehen. Vielleicht hört man gar ein leises Zischen, wenn ein Pfeil direkt am Ohr vorbeisaust. Aber aus größerer Entfernung und während der Nebenmann in seiner Rüstung über das Feld scheppert?
Ich glaube nicht.

Oder liegt es daran, dass es ein moderner Pfeil aus Aluminium oder Carbon war? Würden Pfeile aus dem Mittelalter durch die Luft sirren?
Ein Versuch wäre es wert. Ich glaube jedoch nicht, dass sich hier etwas ändern dürfte. Pfeile werden schon seit langer, langer Zeit verwendet und für den Krieg und die Jagd optimiert. Wen wundert es da, dass diese Fernwaffen schon im Mittelalter fast die heutige, industrielle Ausgefeiltheit erreichten? Und das gilt sicherlich vor allem auch für ihre aerodynamischen Eigenschaften.
Mittelalterliche Pfeile bestanden meist aus Spaltholz wie Esche, Kiefer oder Pappel und waren mit einer feingeschmiedeten Stahlspitze und einer Befiederung versehen, die geleimt und zusätzlich durch Spiralwicklung gesichert war. [Für mehr zu diesem Thema, inklusive Bilder: www.pfeil-bogen.de] Ziemlich aufwendiges Spezialgerät, sowohl damals als heute. Kein Wunder, entschied der optimale Flug eines Pfeils ja meist über das eigene Weiterleben oder das des Gegners.
Darüber dürft ihr ruhig mal nachdenken, wenn ihr in eurem nächsten Fantasyfilm die Pfeile im Dutzend durch die Luft pfeifen hört. Ich werde es tun.

Immer genug Muße zum Lesen
und hört mal genau hin, wenn ihr auf eurem nächsten Ausritt an einer Bogenschießanlage vorbeikommt.

Euer Dominik Schmeller

Flucht vor diesem Buch?

Das Buch eines umjubelten Sci-Fi Autors. Und dennoch zeigt es Schwächen, die dem Leser, meiner Meinung nach, den Genuss gehörig vergraulen.
Ich schreibe über »Flucht vom Mars«, von Herbert W. Franke, dtv, 2007.

Zuerst zum Sprachlichen.
Ich weiß nicht, was sich Franke bei den Namen seiner Figuren gedacht hat. Zwei Protagonisten heißen doch tatsächlich Ramses und Alf. Da das Buch eigentlich durchaus ein ernstes Thema hat, werfen die Namen den Leser unweigerlich aus dem fiktiven Traum. Wer muss dabei nicht an die ägyptischen Pyramiden oder den Melmac denken?
Ein Autor muss darauf achten, dass seine ausgesuchten Namen nicht zu exotisch klingen oder für den Leser nicht aussprechbar sind. Wichtig ist aber auch, dass sie keine ungewünschten Assoziationen auslösen.

Leider finden sich im Text auch einige störende Wortwiederholungen.
Und immer wieder wurden unpassende Formulierungen verwendet. Zum Beispiel die ungewöhnlichen Wörter konstatieren als Synonym für sprechen oder Bergkanzel als Bezeichnung für einen Felsvorsprung.
Ein Roman ist kein Wörterbuch. Der Leser sollte nicht durch Fragen aus dem Erzählfluss geworfen werden wie: »Was soll das denn heißen?«

Es finden sich in »Flucht zum Mars« zuhauf unschöne Formulierungen:
eine bedrohliche Änderung der Situation
… denn zu allem Überfluss hatte sich die Intensität des Windes weiter verstärkt.
Der Wind war völlig zum Erliegen gekommen.
(Das alles Beispiele aus der Sicht bzw. Perspektive eines Kindes/jungen Mannes)
Franke scheint ein Opfer der Substantivitis zu sein.

Eine Lehrerin sagte zu einem Schüler: »Warum nutzt du jede Gelegenheit, um die Schule zu schwänzen? Kannst du mir einen Grund dafür angeben?«
Ehrlich, wer spricht so? Das klingt völlig unrealistisch und konstruiert.
Plopp! Fällt der Leser aus dem Traum.

Natürlich heißt das nicht, dass man nur die 100 gebräuchlichsten Wörter der deutschen Sprache verwenden darf. Es ist eben ein schmaler Grad. Wer hat behauptet, gute Texte zu schreiben sei leicht?

Es gibt auch einige logische Fehler in dem Buch (wenn auch wenige.)
Ein junger Mann wird beispielsweise auf einem Berg von einem Schneesturm eingeschlossen (auf besagter Kanzel). Im letzten Moment (Deus ex Machina) wird er von einer Flugmaschine gerettet, die ihn im dichtesten Schneetreiben mit Infrarotortung (!) entdeckt hat.
Irgendwie schwer zu glauben.

Die gravierendsten Fehler scheint mir Franke jedoch im Aufbau der Geschichte gemacht zu haben.
!!! VORSICHT SPOILER !!!
Das Buch beginnt, dass eine Gruppe aus acht Menschen auf dem Mars landen. Soweit, so Sci-Fi.
Zuerst wird uns erzählt, die Gruppe befindet sich in einem Erlebnisspiel, das zur Unterhaltung der Massen veranstaltet wird (bis hierhin eine interessante Idee).
Die Handlung plänkelt so vor sich hin. Doch beim Leser kommt keine rechte Spannung auf.
Warum? Es fehlt ein konkretes Ziel, mit dem sich der Leser identifizieren kann.
Natürlich haben die Teilnehmer des Spieles das Ziel eine alte Festung auf dem Mars zu erreichen. Doch im Buch findet sich keine Leidenschaft in den Figuren, dieses Ziel zu realisieren. Und deshalb überträgt es sich auch nicht auf den Leser.
Die einzige Frage, die die Spannung ein wenig aufrechterhält, ist: Befinden sich die Menschen wirklich auf dem Planeten Mars, oder ist alles eine Studioillusion.

Zwischen die Kapitel setzt Franke immer lange Abschnitte, die über das frühere Leben jeweils eines der Teilnehmer berichten. Damit will er wohl die Charaktere vertiefen. Doch die Abschnitte lesen sich absurd und auch hier fehlt die Spannung, da sie kaum Verbindung zur eigentlichen Handlung auf dem Mars haben. Und darüber will der Leser mehr wissen!
Wieso charakterisiert Franke die Teilnehmer des Spiels nicht durch Interaktion der Menschen auf dem Mars? Doch genau das passiert nicht. Niemand stellt Fragen zur Vergangenheit oder Wünschen der anderen. Es scheint, als ob sich alle schon seit Äonen kennen. Für den Leser langweilig. Er kann die Menschen nicht in der wirklichen Situation erleben, sondern bekommt ihre Eigenarten in den Zwischenabschnitten schön säuberlich getrennt vorgeführt, wie in einem wissenschaftlichen Vortrag.
Dazu kommt noch, dass die Menschen auf dem Mars offensichtlich keinerlei soziale Verbindungen auf der Erde haben. Niemand hat Familie oder Freunde. (Dieser Punkt wird weiter unten noch wichtig.)

So weit, so langweilig.
Doch es kommt zu einem ersten Wendepunkt, als die Mitglieder der Expedition herausfinden, dass es eigentlich nicht wirklich um ein Spiel geht. Sie sollen stattdessen ein seltenes Metall aus der alten Marsbasis bergen und es zur Erde bringen.
Das kommt erstmal überraschend. Doch am Ziel ändert es eigentlich nichts. Die Acht sollen die Basis erreichen.

Etwa in der Mitte des Buches wird es endlich mal interessant! Es kommt heraus, dass ihre Reise gar kein wirkliches Erlebnisspiel ist. Die Erde soll von einem Asteroiden getroffen werden. Um sich selbst und einige andere zu retten, hat Ramses – ein hoher Regierungsvertreter – dieses Spiel auf dem Mars ersonnen.
Jetzt geht es nur noch darum, die alte Marsbasis zu erreichen, um zu überleben. (Endlich ein Ziel, mit dem sich der Leser identifizieren kann!)
Die Gruppe erreicht die Basis, beobachtet die (beinahe) Zerstörung der Erde und reist dann zurück in die Heimat, die trotz Katastrophe in Teilen noch bewohnbar ist.

Die Wendung mit dem Asteroiden (was endlich Spannung bringt, es geht immerhin um die Zerstörung der Erde), kommt viel zu spät. Mancher, durch all die Banalitäten gelangweilter Leser wird das Buch da schon weggelegt haben.
Aber noch schlimmer: Hier zeigt sich der grobe Mangel, den ich oben schon angesprochen habe: Keiner der Menschen auf dem Mars hat Verbindungen zur Erde.
Die Nachricht über die mögliche Zerstörung ihrer Heimat, nehmen sie zwar angeblich schockiert auf (das wird dem Leser erzählt, aber nicht gezeigt). Doch es hat außer einer schlechten Nachtruhe kaum Auswirkungen.
Auch, als sich alle in der Sternwarte zusammensetzen, um zu beobachten, wie die Erde zerstört wird, kommen kaum Emotionen auf. Und das ist es eben, warum ein Leser ein Buch liest: Emotion!
Wie toll wäre die Szene gelungen, wenn Linette plötzlich schluchzen würde: »Mein armer kleiner Thomas! Wo wird er sterben? Ich habe meinen Kleinen im Stich gelassen! Was werden seine letzten Gedanken über mich sein? Ich kann ihn nie wieder in die Arme nehmen und um Verzeihung bitten!«
Doch solche Gefühlsausbrüche bleiben dem Leser in diesem Buch erspart. Stattdessen gibt es nüchterne Analysen.

Das Buch hat noch einige, weitere Probleme, die ihr gerne für euch selbst entdecken könnt. Ich empfehle jedem, der etwas darüber lernen will, wie man Geschichten (nicht) aufbaut, das Buch zu lesen.
Und natürlich ist nicht alles schlecht. Auch in diesem Buch finden sich kleine Goldstückchen.

Immer genug Muße zum Lesen
und versucht eure Texte stets auch mit den Augen des Lesers zu sehen.

Euer Dominik Schmeller